Studie an Uniklinik Wie Kinder in der Corona-Krise leiden
Schulischer Druck, Einsamkeit, gestresste Eltern auf engem Raum: Die Corona-Krise hat auch bei vielen Kindern psychische Spuren hinterlassen. Das zeigt eine Studie des Hamburger Universitätsklinikums.
In kleinen Schritten kehrt die Normalität zurück ins Kinderprojekt "Arche" in Hamburg-Jenfeld. Auf dem kleinen Fußballplatz toben sie dem Ball hinterher. Gleich nebenan hüpfen drei Mädchen kichernd auf einem Trampolin. Und auf dem Vorplatz startet eine Gruppe zu einer Fahrradtour.
Für die Kinder gleicht all das einer Befreiung. "Ich habe wegen Corona wochenlang zu Hause gesessen", erinnert sich der zehnjährige Azim. "Das war schnell langweilig und ich habe meine Freunde vermisst."
Und die zwölfjährige Rozerin ergänzt: "Es war schön zu Hause, aber irgendwann war es dann zu viel Familie und wurde für alle stressig."
Verunsicherung und Verzweiflung im Lockdown
Dass auch die "Arche" wegen der Corona-Krise vorübergehend schließen musste, sei für die Kinder und Jugendlichen ein harter Schlag gewesen, erzählt Sozialpädagogin Vera Ubben.
Das Projekt ist eine wichtige Anlaufstelle in einem Viertel, das mit zahlreichen Problemen kämpft. Große Familien leben in Jenfeld auf engem Raum. Die finanzielle Lage ist meist angespannt. Schon vor Corona gab es viele Konflikte in den Familien. Die Pandemie habe all das weiter verschärft, so Ubben:
Man hat bei vielen Kindern einen enormen Druck gespürt. Die Schule fordert viel. Zu Hause ist es eng und laut, man versteht die Hausaufgaben vielleicht nicht. Die Freunde konnte man auch nicht treffen. Aus einigen Nachrichten, die uns erreicht haben, war echte Verzweiflung zu lesen. Es ist eine herausfordernde Zeit - für Kinder und Eltern.
Mehr Stress, Angst und Depressionen
Eine Umfrage des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf zeigt nun erstmals, wie sich die Corona-Pandemie auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen bundesweit ausgewirkt hat. Die Ergebnisse: Mehr als 70 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen fühlen sich durch die Corona-Krise seelisch belastet. Stress, Angst und Depressionen haben zugenommen.
Das Risiko für psychische Auffälligkeiten habe sich fast verdoppelt, heißt es in der Studie weiter. Die Kinder seien häufiger gereizt, hätten Einschlafprobleme und klagten über Kopf- und Bauchschmerzen.
Jedes vierte Kind berichtet, dass es in der Familie häufiger zu Streit komme als vor der Corona-Krise. Die Eltern geben das sogar noch häufiger an und erklären, dass Streitigkeiten öfter eskalierten. Gleichzeitig achten Kinder und Jugendliche weniger auf ihre Gesundheit. Sie essen mehr Süßigkeiten, machen weniger Sport und verbringen mehr Zeit am Handy oder vor dem Fernseher.
Überraschend deutliche Auswirkungen auf Wohlbefinden
Für die "COPSY"-Studie wurden Kinder per Online-Fragebogen und in Zusammenarbeit mit Infratest dimap zu den Auswirkungen der Corona-Krise befragt. Kinder von elf bis 17 Jahren konnten den Fragebogen selbst ausfüllen. Für jüngere Kinder ab sieben Jahren haben die Eltern geantwortet.
Es ging um Themen wie psychisches Wohlbefinden und Lebensqualität, sowie um Fragen zu Schule, Familie und Freunden. Mehr als 1000 Kinder und Jugendliche sowie 1500 Erwachsene haben teilgenommen. Die Ergebnisse wurden anschließend mit Daten einer Langzeituntersuchung aus der Zeit vor Corona verglichen. "Wir haben mit einer Verschlechterung des psychischen Wohlbefindens in der Krise gerechnet", sagt Studienleiterin Ulrike Ravens-Sieberer. "Dass sie allerdings so deutlich ausfällt, hat auch uns überrascht."
Mehr Hilfen für sozial schwache Familien gefordert
Betroffen sind vor allem Kinder aus sozial schwächeren Familien. So zeigt die Studie, dass ein geringes Einkommen der Eltern und beengter Wohnraum das Auftreten psychischer Auffälligkeiten bei Kindern fördern. "Mangelnde Rückzugsmöglichkeiten und fehlende Tagesstruktur führen besonders in Krisenzeiten zu Streit und Konflikten in der Familie. Wir konnten daher deutlich sehen, dass die Kinder sich vor allen Dingen dann seelisch belastet gefühlt haben, wenn die Eltern auch belastet sind und viel Stress empfinden", so Ravens-Sieberer. Sie fordert deshalb möglichst schnell Konzepte, wie man diesen Familien helfen kann, gerade für den Fall einer zweiten Infektionswelle: etwa über Online-Beratungsangebote, aber auch über persönliche Betreuung, wie in der "Arche".
Kinder nicht aus dem Blick verlieren
Wie wichtig das ist, betonen auch die Sozialpädagogen der "Arche". Während des Lockdowns haben sie online und am Telefon versucht, Kontakt zu besonders belasteten Kindern und ihren Familien zu halten.
An einen Fall erinnert sich Sozialpädagogin Ubben dabei besonders: Ein Junge, der schulisch so unter Druck geriet, dass er mit Selbstmord drohte. In der "Arche" hätten sie früh reagieren können, da das Team die Krise kommen gesehen habe. Für Ubben steht außer Frage, dass Anlaufstellen wie die Arche eine große Unterstützung für die Kinder und Jugendlichen sind, deswegen sei es höchste Zeit, dass sie und die Schulen wieder regulär öffnen können.